"Wir haben bereits 11 Personen nach Thüringen geholt"

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Quelle: Thüringer Flüchtlingspaten Syrien

Der Verein Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V. organisiert finanzielle Patenschaften, um den Familiennachzug aus Syrien per Verpflichtungserklärung zu ermöglichen. Der Verein wurde in Thüringen 2016 gegründet und orientiert sich an der Arbeit der Flüchtlingspaten Syrien Berlin. Dank der Arbeit des Vereins wurden bereits 11 Personen in Thüringen aufgenommen.

Wir haben deshalb mit Franka Maubach von den Thüringer Flüchtlingspaten Syrien gesprochen. Sie hat uns die Arbeit des Vereins erklärt und über verschiedene Schwerpunkte gesprochen.

 

Wie kam es zur Gründung des Vereins?

Die Thüringer Flüchtlingspaten Syrien haben sich im Februar 2016 gegründet. Wir sind aus verschiedenen Gründen auf die Möglichkeit des legalen Familiennachzugs über das Thüringer Landesaufnahmeprogramm aufmerksam geworden: weil wir selbst überlegt haben, eine Verpflichtungserklärung abzugeben, weil uns die Möglichkeit des legalen Nachzugs (statt der illegalen Flucht) überzeugt hat oder weil wir aus der Presse von den Berliner »Flüchtlingspaten« erfahren haben.

Unser Berliner »Mutterverein« hat schon 2015 angefangen systematisch Anträge über das Berliner Landesaufnahmeprogramm zu stellen – bis heute haben sie fast 200 Personen geholfen, die schon in Berlin oder auf dem Weg dorthin sind. Das hat uns in Thüringen sehr beeindruckt: denn dass der reguläre Familiennachzug nur die allerengste Kernfamilie – Ehepartner und minderjährige Kinder – umfasst, ist für viele Familien emotional höchst belastend. Weder gerade volljährig gewordene Flüchtlinge können ihre Eltern nachholen, noch Eltern ihre volljährigen Kinder. Auch Geschwister können auf dem Wege des regulären Familiennachzugs nicht nachziehen. Selbst nach deutschem Verständnis handelt es sich bei diesen Personen um den engsten Familienkreis, nach arabischem Verständnis gilt das noch viel mehr.

Warum ist das Programm auf Menschen aus Syrien beschränkt?

Das Thüringer Landesaufnahmeprogramm fußt auf einem Erlass des Bundesinnenministeriums, der aufgrund der besonders dramatischen Kriegslage in Syrien einen erweiterten Verwandtennachzug zulässt. Dieser, im Vergleich zu anderen Ländern wie Irak oder Afghanistan, besonderen Situation trägt das Landesaufnahmeprogramm Rechnung. Das mag auf den ersten Blick ungerecht erscheinen, auf den zweiten bietet es aber immerhin für diese Personengruppe die Möglichkeit, volljährige Kinder oder alte Eltern, Brüder und Schwestern aus dem Kriegsgebiet herauszuholen und mit ihren in Thüringen lebenden Familien zu vereinen.

Diese Hilfe ist so punktuell, dass Fragen nach Gerechtigkeit nicht greifen. Wir konzentrieren uns auf den Einzelnen, den wir aus dem Kriegsgebiet herausholen und hier eine friedliche, bessere Zukunft ermöglichen können.

 

Und welche Familienmitglieder können geholt werden? Wie werden diese aus-gewählt?

Es können zweitrangige Familienmitglieder nachgeholt werden. Im Fokus des Vereins stehen einzeln zurückgebliebene Personen. Den Nachzug einer ganzen Familie können wir weder finanzieren noch organisieren. Häufig erreichen uns Anfragen für den Nachzug von zurückgebliebenen volljähriger Kindern, von Eltern erwachsener Kinder oder von Geschwistern. Besonders dramatisch sind Fälle, in denen 19- oder 20-jährige Mädchen ganz allein zurückbleiben, was eine Gefahrensituation besonderer Art bedeutet. Auch Jugendlichen, die in Deutschland 18 werden und damit den Anspruch verlieren, ihre Eltern nachholen zu können, wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Wir nehmen die Anfragen, die uns erreichen, in eine Liste auf und wählen dann nach dem Zeitpunkt der Anfrage und nach der Dringlichkeit aus. Lebt die Person in einem aktuell kriegsbedrohten Gebiet? Ist sie allein zurückgeblieben? Wie ist ihre Lebenssituation? Wir bemühen uns, gute Entscheidungen zu treffen.
Vor ein paar Tagen ist eine volljährige Tochter in Erfurt angekommen und lebt jetzt mit ihrer Familie zusammen. Und vor etwa einem Monat kam der Bruder eines jungen Flüchtlings, der akut von der Rekrutierung in Assads Militär bedroht war.

Um einen neuen Antrag für eine Person auf unserer Liste stellen zu können, benötigen wir 600-800 Euro zusätzliche Spendengelder pro Monat. Da Spenden im Moment nur zögerlich fließen, dauert das sehr lange. Wie die Bertelsmann-Stiftung zuletzt herausfand, ist die Bereitschaft zur weiteren Aufnahme von Menschen aus humanitären Gründen in Ost- wie Westdeutschland gesunken.

Eine weitere Möglichkeit, Menschen aus Syrien herauszuholen, sind deswegen die Unterstützerkreise. Diese gründen sich um eine bestimmte, in Thüringen lebende Familie, nachzuholen. Unterstützerkreise kümmern sich eigeninitiativ darum, ausreichend Spenden im Freundes- und Bekanntenkreis zu sammeln. Dieses Modell trägt der Tatsache Rechnung, dass unser Verein in Jena und Erfurt lokalisiert ist, wir aber auch Anfragen aus Altenburg oder Kölleda bekommen. Zusammen mit den Unterstützerkreisen können wir dezentral arbeiten. So haben mehrere, wie wir sie nennen, »U-Kreise« dafür gesorgt, dass drei volljährige Töchter Visa bekommen haben, um nach Deutschland auszureisen. Außerdem hat ein Unterstützerkreis in Weimar spontan geholfen, als ein endlos verzögerter regulärer Familiennachzug einen Vater fast um den Verstand gebracht hat. Mittlerweile lebt er glücklich vereint mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Weimar.

 

Wie viele Flüchtlinge werden momentan unterstützt?

Mittlerweile sind elf Personen über den Verein nach Thüringen geholt worden. Ein 12. und 13. Antrag sind gestellt. Dank der meist sehr schnellen Arbeit der Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen dauert es unserer Erfahrung nach nur sechs Wochen bis zwei Monate von der Antragstellung bis zur Einreise – viel schneller als der reguläre Familiennachzug, der sich bisweilen weit über ein Jahr hinzieht.

 

Wie kann man Flüchtlingspate werden? Und was ist die Verpflichtungserklärung?

Flüchtlingspate kann man ganz einfach werden: mit einer monatlichen Spende ab fünf Euro auf unser Konto! Wichtig für uns ist der monatliche Rhythmus der Zahlungen, damit wir sicher übersehen können, für wie viele Personen das Geld reicht. Aber auch über einmalige Spenden sind wir natürlich sehr dankbar!

Im Moment sammeln wir unter anderem Geld für Mutter und Schwester eines 19-jährigen Flüchtlings, der über das Mittelmeer und die Balkanroute vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen ist. Einen Vater gibt es nicht, und Mutter und Schwester sind als Christinnen in einer besonders schwierigen Situation; wir möchten helfen, dass sie sich auf den Weg von Homs nach Jena machen können!

Daneben können sich Personen bei uns melden, die Verpflichtungsgeber werden möchten. Verpflichtungsgeber sind diejenigen Personen, die bei der Ausländerbe-hörde dafür bürgen, dass Unterhalt und Miete der hereingeholten Person privat ge-tragen werden können. Darum muss der Bürge oder die Bürgin bei der Ausländerbehörde eine Bonitätsprüfung durchlaufen und nachweisen, dass sie nicht nur sich selbst und ihre Familie, sondern auch eine weitere Person versorgen kann. Dafür wird von der Ausländerbehörde geprüft, ob der Bürge über rund 800 Euro »überschießendes« Einkommen hat. Das finanzielle Risiko des Bürgen tra-gen die vielen kleinen und großen Monatsspender und -spenderinnen unseres Vereins. Der Verpflichtungsgeber muss also nur eine Unterschrift leisten. Trotzdem liegt das Risiko rechtlich am Ende bei ihm.

 

Beschränkt sich die Verbindung zwischen Paten und Flüchtlinge allein auf die finanzielle Unterstützung oder treffen sie auch aufeinander?

In den meisten Fällen entsteht über die rechtliche Bürgschaft hinaus eine persönliche Beziehung. Schon den bürokratischen Akt der Antragstellung gemeinsam zu durchlaufen, ist eine – manchmal unvergessliche – gemeinsame Erfahrung!
Zudem benötigen die hereingeholten Familienmitglieder auch nach ihrer Ankunft Unterstützung: bei Behördengängen, beim Einrichten ihrer Wohnung, beim Erlernen der Sprache. Hier sind die Verpflichtungsgeber – mal mehr, mal weniger intensiv – einbezogen. Und darüber hinaus treffen sich die Familien auch einfach mal zum Kaffeetrinken oder zum Essen.

Wir als Verein verstehen das als eine von zwei Seiten ausgehende Integration, die im Zusammensein und Miteinander-Handeln entsteht. Am 10. Juni werden wir ein großes Fest in Weimar veranstalten – als Dank für alle Unterstützer und Unterstützerinnen und um all diejenigen willkommen zu heißen, die in den letzten Monaten Thüringer Nachbarn geworden sind.

 

Wie kann man den Verein anderweitig unterstützen?

Am wichtigsten für unsere Arbeit sind Spenden, denn ohne einen regelmäßi-gen Spendenfluss können wir keine weitere Anträge stellen und keine Verwandten aus dem syrischen Kriegsgebiet herausholen. Daneben sind wir sehr dankbar für personelle Verstärkung. Wir arbeiten alle ehrenamtlich, nicht selten neben vollen Stellen. Dadurch können die Dinge ins Stocken geraten. Wer bei der tagtäglichen Vereinsarbeit oder bei der Alltagsbegleitung der von uns unterstützten Menschen helfen möchte, ist herzlich willkommen in der großen Vereinsfamilie!