"Mir begegnen immer wieder Halbwahrheiten und Gerüchte"

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(Bild: Tino Magiera)

Seit Mai 2015 ist Mirjam Kruppa die Beauftragte des Freistaates Thüringen für Integration, Migration und Flüchtlinge. Sie ist studierte Juristin, seit 1998 Rechtsanwältin mit dem Arbeitsschwerpunkt im Ausländer- und Asylrecht und seit 2001 auch Fachanwältin für Verwaltungsrecht.

In ihrer Funktion als Beauftragte setzt sie sich dafür ein, die Interessen der Migrantinnen und Migranten im Freistaat Thüringen zu wahren („Anwältin der Flüchtlinge“). Ihr zentrales Anliegen ist die Umsetzung einer humanen Flüchtlings- und Migrationspolitik in Thüringen. Dazu haben wir sie befragt:

 

1. Was beschäftigt Sie bei Ihrer täglichen Arbeit als Beauftrage für Migration, Integration und Flüchtlinge zurzeit am meisten?

Am meisten beschäftigt mich natürlich aufgrund des Anstieges der Zahlen die Flüchtlingsfrage an sich. Aber auch die Frage, wie wir es gemeinsam schaffen, die vielen Flüchtlinge, die kommen, wirklich gut in die Kommunen zu integrieren. 


2. Sie haben viele Jahre als Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Ausländer- und Asylrecht gearbeitet. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hürden im Asylverfahren? Und wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten für die Flüchtlinge im Alltag?

Im Asylverfahren sehe ich die größten Probleme bei der Dauer der Asylverfahren – sie sind viel zu lang. In der gesamten Zeit besteht Unklarheit für die Flüchtlinge über ihren Aufenthaltsstatus. So versuchen sie, sich bestmöglich zu integrieren, haben die Hoffnung, dadurch hier eine Bleiberechtsperspektive zu bekommen, und wissen trotzdem nicht, wie ihr Asylverfahren ausgehen wird. Außerdem fehlt es an Asylverfahrensberatung für die Flüchtlinge gleich am Anfang in den Erstaufnahmeeinrichtungen, damit sie sich orientieren können. Und es fehlt auch an einer Beratung zu Asylgründen. Die Menschen wissen sehr oft nicht, was Asylgründe in Deutschland sind.

Schwierigkeiten für die Flüchtlinge im Alltag sind sicherlich in der ersten Zeit – ohne Gesundheitskarte – die Gesundheitsversorgung, die Sprachkenntnisse, die sie mit ihrem Status nur schwer erwerben können, die Integration der Kinder in den Schulen und die bereits beschriebene Unsicherheit über lange Zeit. Kann ich bleiben, kann ich nicht bleiben? Wie kann ich mich in dieser Situation verhalten? Das sind wesentliche Fragen, die sich die Flüchtlinge stellen.

Beispiele Asylgründe: Viele Menschen, die aus dem Westbalkan kommen, gehen davon aus, das sie aufgrund ihrer Notsituation, ihrer extremen Armut oder ihrer Diskriminierung einen Asylgrund erfüllen. In der Praxis ist es aber oft nicht so und sie werden abgelehnt. Wenn dies erst nach einem oder eineinhalb Jahren passiert, haben sie sich schon integriert, sind dabei, sich Arbeitsplätze zu suchen usw. Das ist nicht zielführend, die Asylsuchenden müssen wissen, wie ihre rechtliche Situation ist.


3. Im Entwurf für das neue Asylbewerberleistungsgesetz, das nun noch Bundestag und Bundesrat passieren muss, ist die Ausreichung von Sachleistungen statt Geldzahlungen an Asylbewerberinnen und -bewerber vorgesehen, also z. B. Lebensmittelpakete, Kleidungslieferungen und Ähnliches. Ist ein solcher Wechsel von mehr Sachleistungen statt Bargeld sinnvoll? Setzt Bargeld für Flüchtlinge die richtigen Anreize?

Der Wechsel ist nicht sinnvoll. Das hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Deswegen fand ja auch der Wechsel von Sachleistungen zu Bargeldleistungen statt –vor kurzem erst. Es wäre ein unglaublicher bürokratischer Aufwand, tatsächlich all die Barleistungen jetzt wieder in Sachleistungen auszugeben – für die Kommunen aber auch für die Landeserstaufnahmen ist dies fast nicht zu stemmen. Und es schränkt die Flüchtlinge enorm darin ein, eigenständig zu leben und ihr Leben selbst zu gestalten.

Aus meiner Sicht führt dieser Rückschritt zu Sachleistungen zu keinem Ergebnis. Die Menschen kommen nicht, um hier Taschengeld zu bekommen, sondern sie kommen aus Gründern der politischen Verfolgung, wegen Krieg, Verfolgung oder auch wegen des Lebens in existenzgefährdender Armut und Perspektivlosigkeit. Ein Taschengeld wird sie nicht von der Flucht abhalten. Es ist kein sinnvolles Mittel, um Menschen abzuschrecken und es darf kein Mittel sein, um die Migration zu beeinflussen. Es verstößt gegen die Menschenwürde!


4. Auch die Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“ ist Teil des neuen Gesetzespakets. Derzeit gehören u. a. Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien dazu. Nun sollen drei weitere Länder des Balkans als sicher qualifizieren werden: Kosovo, Albanien und Montenegro. Ist das der richtige Weg? Und was bringt die Einstufung eines Landes als sicherer Herkunftsstaat wirklich?

Die Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“ macht nach meiner Erfahrung keinen Unterschied. Sie setzt lediglich ein Zeichen für die Bevölkerung, dass die Menschen aus diesen Staaten aus anderen Gründen als Krieg und Verfolgung zu uns kommen. Für mich als Anwältin spielte es beispielsweise überhaupt keine Rolle, dass Serbien 2014 zum „sicheren Herkunftsstaat“ ernannt wurde. Weil es schlichtweg keine Auswirkungen hat. Tatsächlich bringt es keine Beschleunigung der Asylverfahren. Die Anhörungen beim Bundesamt finden genauso statt. Nur die Textbausteine in den Entscheidungen sind andere. In der Vergangenheit hat sich auch gezeigt, dass deswegen nicht weniger Menschen zu uns kommen. Aus Mazedonien kommen beispielsweise sogar mehr Menschen als in der Zeit, als es noch kein sicherer Herkunftsstaat war. Insofern ist es meiner Meinung nach sinnlos. Und führt nur dazu, dass die Menschen hier ein noch schwierigeres Leben haben.


5. Stichwort „Brände in (geplanten) Flüchtlingsunterkünften“: Wie kann man (mehr) Toleranz schaffen?

Ich glaube, da hilft erst einmal nur, die Menschen zu informieren. Viele sind nicht informiert. Woher kommen die Leute? Wie sieht die Situation in den Herkunftsländern aus? Wie sehen die tatsächlichen Leistungen aus? Dies muss man den Menschen vor Ort in den Kommunen, Landkreisen und in den Städten erklären. Die Vorurteile sind groß. Sie können nur abgebaut werden, indem Gerüchte sachlich, mit Argumenten und Informationen entkräftet werden. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass ich mit Halbwahrheiten und Geschichten nach Hörensagen konfrontiert werde, die mit der Tatsache überhaupt nichts zu tun haben. An diesen Stellen muss aufgeklärt werden und ich glaube, der direkte Kontakt bringt sehr viel. Immer dann, wenn die Menschen miteinander zu tun haben und auch gute Erfahrungen machen, werden sich die Meinungen ändern. Das ist, glaube ich, die einzige Möglichkeit, dies zu ändern.


6. Wo kann jede und jeder von uns mit anpacken? Wie können wir im alltäglichen Leben den geflüchteten Menschen helfen?

Anpacken kann jeder vor allem in der Ehrenamtsarbeit, das heißt beispielsweise Deutschkurse geben oder bei den Kleiderspenden helfen. Es gibt ganz viele Möglichkeiten. Jeder kann nach seinen individuellen Möglichkeiten und seinem Zeitrahmen helfen. Das ist unsere wichtigste Stütze im Moment, damit die Flüchtlingshilfe überhaupt funktioniert.

Wichtig und wirklich hilfreich ist, so meine ich, der direkte Kontakt. Durch Patenschafts-Projekte beispielsweise kann man Flüchtlinge individuell begleiten und ihnen helfen, sich hier zu Recht zu finden. Es kommt zu einem Austausch und dieser ist für jeden eine Bereicherung – man lernt voneinander und gewinnt dadurch. Nur so kann die Arbeit konsequenter fortgesetzt werden. Und für die Menschen ist es enorm hilfreich, wenn im alltäglichen Leben jemand unterstützt, mit den Kindern mal ins Freibad geht oder einfach gemeinsam die neue Heimat erkundet. Ich kann nur jedem empfehlen, wirklich ganz direkt einfach den persönlichen Kontakt zu suchen und so Freundschaften entstehen zu lassen.

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Informationen und Tipps, wie Sie in Thüringen konkret helfen können, finden Sie hier:

MDR Thüringen: http://www.mdr.de/mitteldeutschland-hilft/fluechtlingen-helfen-thueringen100_zc-2c8bf249_zs-ca04f132.html

Landeswelle Thüringen: http://www.landeswelle.de/aktionen-und-service/blog/so-koennen-sie-helfen

Antenne Thüringen: http://www.antennethueringen.de/www/Nachrichten/TOP-Themen/Hilfe-fuer-Fluechtlinge---Uebersicht-403843.html